9. September 2013 "altes Handwerk neu entdeckt - Brennnesselschnüre"

9. September 2013 "altes Handwerk neu entdeckt - Brennnesselschnüre"

In "Schneewittchens Apfel" schreibt Esther Gallwitz (ISBN 3-458-3423C-3): "Urtica dioica hat lange, stabile Fasern und ist eine uralte Gespinstpflanze. Albertus Magnus berichtet im 12. Jahrhundert, wie Nesseln zu Nesseltuch gemacht werden. Später gab es Versuche, Nesselgarnmanufakturen in Deutschland aufzubauen. Die hatte man in Frankreich, von dort kamen Gewebe für Wäsche und Kleidungsstücke. In Süddeutschland und in der Schweiz produzierte man vor allem Säcke und Netze. 1723 gab es in Leipzig die erste grössere Fabrik für Nesselgewebe. Ein einfaches, etwas rauhes und nicht weiss gebleichtes Tuch heisst heute noch Nesseltuch, obwohl es längst aus Baumwolle gemacht wird."

 

Patrik Zolliker hat uns in seinem Kurs am 7. September an der Kräuterakademie in die Herstellung von Brennnesselschnüren eingeweiht. In seiner Diplomarbeit an der Akademie 2011 widmete sich Patrik der Brennnessel in ihrer ganzen Vielfalt.

Welche Pflanze, die direkt vor unsere Haustüre so üppig gedeiht, kann in ihrer ganzen Art von der Wurzel bis zu den Samen genutzt werden?

Aus der saubergereinigten Wurzel kann eine Tinktur angesetzt werden, die schönen Blätter und Triebspitzen werden zu Salat, Gemüse oder Tee verarbeitet, die nicht mehr ganz schönen Blätter werden zu einer Brennnessel-Jauche angesetzt. Die Samen gelten als Jungbrunnen auf Salaten, in Müesli oder als Garnitur. Und die Stängel, von ihnen lassen sich die darin enthalten Fasern abschälen und zu Schnüren und Geweben weiterverarbeiten. Die ganze - eher als Unkraut verrufene Pflanze - ist nutzbar.

Sammeln

frische, möglichst lange Pflanzen mit wenigen Wachstumsknoten und Verholzungen
schräg anschneiden

zwischen Dezember und Januar können auch trockene Stängel, die noch Fasern enthalten, geernte werden

Vorbereiten

Blätter, Triebe und Samenstände entfernen > aussortieren und entsprechend weiterverwenden
    > von unten nach oben entfernen, Stängel nicht verletzen


Stängel von unten nach oben 2-3 mal durch die Hand ziehen > Nesselhaare werden entfernt


Wachstumsknoten vorsichtig mit einem runden Stein auf Holzunterlage anschlagen

Fasergewinnung

Fasern in möglichst breiten Bändern mit "Haut" vorsichtig in Richtung Spitze ablösen > lange Stücke erleichten das Drehen der Schnüre

trocknen lassen > auf trockenen Unterlagen an der Sonne trocknen lassen oder auf einer Stoffunterlage trocken reiben und vollständig trocknen lassen

Schnur dehen

nicht zu dicke gleichmässige Faserbüschel vorbereiten
nicht in der Mitte beginnen (ein Drittel - zwei Drittel) > verlängern wird erleichtert

jeweils zwischen Daumen und Zeigefinger in Gegenrichtung drehen bis sich die Fasern in sich verdrehen

Ende zwischen den Zähnen festhalten
jeden Strang separat weiter drehen
Stränge von Hand überkreuzen und dabei auf eine enge Bindung achten


ab ca. 15 cm die Schnur zwischen die Fersen klemmen oder mit einer Sicherheitsnadel an der Hose befestigen und weiterarbeiten

zum Verlängern alten Strang mit neuem Strang gut verdrehen und mit dem zweiten Strang weiterverarbeiten

Wachsen

um den Strang "wetterfest" zu machen, den Strang in flüssigen Bienenwachs tauchen
den Wachs gut in die Schnur einarbeiten

 

Brennnesselschnüre können sehr belastbar sein, durch das Wachsen werden sie widerstandsfähiger gegen Witterungseinflüsse. Eineseits können sie zu dekorativen Zwecken aber auch zum Festhalten und Aufbinden von Pflanzen und anderen Gegenständen genutzt werden. Mit etwas Übung lassen sich sehr feine Schnüre herstellen, die sich auch zu Textilen durch Weben, Häklen oder Stricken verarbeiten lassen.